Umstieg auf S/4HANA: So werden Schnittstellen nicht zu Stolperfallen
Im Schatten des Kernsystems
CRM und Warehouse-Software, Zugänge zu Marktplatz- und Lieferantenplattformen, Eigenprogrammierungen und externe Services – das sind nur einige Beispiele für Drittanwendungen, die in den IT-Landschaften der Unternehmen eine große Rolle spielen, auch als Lasttreiber: Rund 40 Prozent der gesamten SAP-Systemlast werden durch Transaktionen über Schnittstellen verursacht. Wann immer neue Anwendungen einzubinden sind, ist die Schnittstellen-Kompatibilität ein wichtiges Thema. Einmal eingerichtet und funktionsfähig, führen Schnittstellen danach aber eher ein Schattendasein. Das gilt auch für die Durchführung der erwähnten Standard-Checks von SAP, denn diese Analysen sind auf das ERP-Kernsystem ausgerichtet.
Im Unternehmen selbst ist spezielles Know-how zu Schnittstellen oft nicht (mehr) verfügbar, besonders wenn die Implementierung länger zurückliegt. In der Planung der HANA-Migrationsprojekte werden Schnittstellen zu Drittanwendungen deshalb oft unzureichend berücksichtigt und getestet, in der Hoffnung, es würde schon gut gehen. Oft genug tut es das nicht. Dann zeigt sich nach der Produktivsetzung, dass die angebundenen Systeme nicht mehr performant laufen, es sind Eskalationen zu bearbeiten und die Schnittstellen müssen letztlich im neuen Produktionssystem angepasst werden.
“Bis zu 30 Prozent mehr Zeit kann die nachfolgende Schnittstellenanpassung kosten.”
Das Risiko: Schnittstellenanpassung führt zu Projektverzögerung
„Nach unseren Erfahrungen sind es tatsächlich die Schnittstellen, die am häufigsten ungeplante Projektaufwände und Verzögerungen bei den S/4HANA Projekten verursachen. Bis zu 30 Prozent mehr Zeit kann die nachfolgende Schnittstellenanpassung kosten“, sagt Stefan Rühle, Gründer und Vorstandsvorsitzender bei The Digital Workforce Group.
Nun ist es nicht so, dass Anwenderunternehmen dieses Risiko einfach ausblenden, sie sehen nur meist keine Lösung. Es fehlen nicht nur spezifische Kenntnisse zu Schnittstellentechnologien, sondern vor allem die Möglichkeiten, in der Integrationsumgebung überhaupt zu testen. Wichtige Kennzahlen etwa zur Verteilung des Transaktionsvolumens auf einzelne Schnittstellen können mit Standard-Tools nicht bestimmt, die Performance kann nicht gemessen werden. Längst nicht alle produktiven Drittanwendungen können vorab getestet werden. Das wäre zum Beispiel bei kostenpflichtigen Services wie Abrufen aus Handelsregistern oder Kreditdatenbanken sehr teuer. Ohne ausreichende Test- und Simulationsmöglichkeiten bleibt dann nur der Weg, zuerst das S/4 Kernsystem aufzubauen und danach die Umsysteme anzupassen (Design after Conversion) – mit allen Risiken der Projektverzögerung und des erhöhten Aufwandes.
Produktive Schnittstellen in der Testumgebung simulieren
Es geht auch anders, dafür braucht es die entsprechende Expertise und spezielle Tools. Seven Principles etwa hat einen solchen toolgestützten Ansatz entwickelt. Im ersten Schritt werden die relevanten technischen wie auch fachlichen KPI’s bestimmt. Aus technischer Sicht ist hier die erste Frage: Über welche Schnittstellen wird die Hauptlast abgebildet?
Im Fall eines großen Finanzdienstleisters mit insgesamt 12 angebundenen Systemen ergab die Analyse zum Beispiel, dass 80 Prozent des Transaktionsvolumen über nur 4-5 Schnittstellen liefen. Fachliche KPI’s werden zur Bestimmung der Qualität und Performance der jeweiligen Prozesse herangezogen. Um im Beispiel aus der Finanzbranche zu bleiben: Hier sind bei Aufrufen regelmäßig externe Services zur IBAN- oder SEPA-Konvertierung eingebunden, deren exakte Funktion sichergestellt sein muss.
Nachdem die kritischen Schnittstellen evaluiert sind, können sie getestet werden. Mit Hilfe eigens entwickelter Tools werden dafür zunächst Traffic und Antwortverhalten an den produktiven Schnittstellen aufgezeichnet. Anschließend werden diese Daten in die Integrationsumgebung übertragen. Mit diesen Samples lassen sich komplette Ende-zu-Ende Systemtests innerhalb der Integrationsumgebung durchführen. Somit können alle relevanten Schnittstellen im Testsystem simuliert werden, beliebig oft und unabhängig von den Drittanwendungen im Produktivsystem.
Getestet wird nicht nur die Funktion an sich, sondern auch die Performance; die Software lässt sich auch für Last-Simulationen nutzen. Während üblicherweise nur einige Key-User im Rahmen von Tests eingesetzt werden, lassen sich mit dem automatisierten Verfahren auf Knopfdruck Tausende paralleler Anfragen generieren. Somit kann auch die Skalierbarkeit geprüft werden und wenn nötig, Sizing und Hardware rechtzeitig angepasst werden. Das Verfahren erlaubt also ein direktes Benchmarking von Geschäftsprozessen zwischen SAP ERP und SAP S/4HANA in der Testphase.
Höhere Planungssicherheit und verkürzte Projektlaufzeit
Spezielle Tools und Methoden zur Schnittstellenanalyse und -simulation helfen also, ergänzend zu den SAP-Standard-Checks, das gesamte System-Umfeld auszuleuchten und somit die Planungssicherheit zu erhöhen. Das Gesamtprojekt S/4HANA inklusive der Schnittstellen und Umsysteme wird berechenbarer, auch die Projektlaufzeit lässt sich verkürzen. Zwar bedingt die Schnittstellenanpassung immer Arbeitsaufwand, durch die Simulationsmöglichkeit im Testsystem können diese Arbeiten aber schon weit früher begonnen werden. Zudem verbessert sich die Qualität der Anpassungen, wenn Erfahrungen aus den Last-Tests für das Design der produktiven Schnittstelle genutzt werden (Design before Conversion).
Nicht zuletzt bieten die Tests im Vorfeld Schutz vor unerwarteten Fehlern und Systemausfällen unmittelbar nach der Produktivsetzung. Für Unternehmen in regulierten Branchen ist das zwingend, aber auch alle anderen Unternehmen können mit frühzeitiger Analyse und Simulation in der Testumgebung sicherstellen, dass systemkritische Drittanwendungen nach der Produktivsetzung von S/4HANA mit der angestrebten Performance laufen.
Nils Krugmann, SEVEN PRINCIPLES AG &
Anisa Karajbic, Vorstand bei der Talentschmiede Unternehmensberatung AG